Die Diskussion um Open Access und das Google Library Project
Das Schlagwort Open Access steht für die Forderung, wissenschaftliche Forschungsergebnisse umsonst und für alle im Internet zur Verfügung zu stellen. Es verspricht Autor_innen den unmittelbaren Kontakt zu einer breiten Leserschaft und die Befreiung von verlagspolitischen Zwängen; zugleich wirft es die Frage auf, wie die Qualität der Publikationen im Internet gesichert werden soll und weckt Existenzängste bei den mittelständischen Wissenschaftsverlagen. Entsprechend ist die Geschichte des Konzepts gepflastert mit Appellen und Erklärungen. Die Budapester Open Access-Initiative vom 17.01. 2002 wird ein Jahr später in der Berliner Erklärung der deutschen Wissenschaftsgesellschaften aufgenommen und begrüßt; im Heidelberger Appell warnen die Verlage vor einer schleichenden Enteignung der Autorinnen und Autoren; in der Heidelberger Erklärung beschwören die Befürworterinnen und Befürworter der Open Access-Initiative das Recht der Öffentlichkeit auf freien Zugang zum Wissen etc.
Das Forum nahm diese bewegten Debatten zum Anlass, über die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens im digitalen Zeitalter zu diskutieren. Dr. Hans-Georg Nolte-Fischer sprach aus seinen Erfahrungen als leitender Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Eva Gilmer aus der Praxis des Wissenschaftslektorats im Suhrkamp Verlag und Andreas Auth aus Sicht des geschäftsführenden Direktors der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft.
Die Diskussion zeigte, dass die neuen Möglichkeiten des digitalen Publizierens nicht nur die Randbedingungen universitärer Forschung betreffen. Wie wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht und ausgetauscht werden, hat unmittelbaren Einfluss auf die Arbeit der Forscherinnen und Forscher selbst. Daher die Verve, mit der einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insbesondere der naturwissenschaftlichen Fakultäten eine Befreiung von den organisatorischen und finanziellen Zwängen der Verlagspolitik fordern. Jeder Handgriff und jede Investition, die Verlage auf ihre Autoren abwälzen, erschwert ganz unmittelbar die wissenschaftliche Arbeit.
Doch betonten die drei Referenten mit großem Nachdruck, dass Verlage und Bibliotheken ein unverzichtbarer Teil des wissenschaftlichen Arbeitens sind. Das in den Erklärungen der Open Access Initiative beschworene Bild eines unmittelbaren Tête-à-tête von Autorinnen sowie Autoren und Leserschaft verdeckt die Tatsache, dass nicht nur die Verbreitung, sondern auch schon die Entstehung wissenschaftlicher Texte von den Bedingungen abhängen, die Verlage und Bibliotheken schaffen. Verlage nehmen, wie Eva Gilmer betonte, nicht nur fertige Texte entgegen, um sie der Öffentlichkeit zu übergeben. Sie bringen selbst Projekte auf den Weg, gestalten Programme, fördern Autor_innen und kümmern sich um die internationale Verbreitung der Texte. Lektorinnen und Lektore sichern in diesem Zusammenhang nicht nur die Qualität der Texte, sondern sorgen auch dafür, dass sie über die engeren Wissenschaftszirkel hinaus Verbreitung finden.
Hans-Georg Nolte-Fischer betonte an diesem Punkt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Verlagen und Bibliotheken: Da Verlage für ihre Leistungen bezahlt werden müssen, können nur Bibliotheken den ungehinderten Zugang zu den Texten sichern. Das ändert sich auch nicht in Zeiten von E-Documents und E-Science. Die ULB bietet ihren Nutzern schon seit einiger Zeit zahlreiche Möglichkeiten, digital auf Texte zuzugreifen, was zum Beispiel die Nutzerzahl von Dissertationen signifikant erhöht hat. Schon seit 2006 übersteigt die Nutzung der elektronischen Medien die der gedruckten. Die zukünftige Nutzergruppe der „Digital Natives“ wird diesen Trend sicher noch weiter beschleunigen.
Welche Geschäftsmodelle Verlage entwickeln können, um Autoren die elektronische Publikation zu ermöglichen oder den klassischen Textformaten weiterhin die nötige Verbreitung zu sichern, schilderte der geschäftsführende Direktor der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Andreas Auth. Dabei ging es ihm auch um die Frage, wie die Urheberrechte der Autorinnen sowie Autoren gewahrt und zugleich die neuen Möglichkeiten der Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse genutzt werden können. Da sich seiner Einschätzung nach die Zielgruppen nach der Angebotsform ausrichten werden, haben Verlage auch in Zukunft zahlreiche strategische Möglichkeiten. Von zentraler Bedeutung werden dabei die Vertriebsprozesse sein.
Differenzen zeigten sich vor allem in der Frage, ob Bibliotheken digitalisierte Texte in Zukunft so zur Verfügung stellen sollten, dass sie auch heruntergeladen und ausgedruckt werden können. Hans-Georg Nolte-Fischer betonte, dass nur eine gut Kooperation zwischen Verlagen und Bibliotheken das Gesamtsystem im Gleichgewicht halten könne und einen gelassenen Blick auf die zukünftigen Entwicklungen gestatte. Es müsse auch im Interesse der Verlage liegen, mit Hilfe der Bibliotheken freien Zugang zu den Texten zu sichern, da nur das Gesamtsystem Verlag/Bibliothek eine aussichtsreiche Alternative zu direkten Open Access-Publikationen bieten könne.
Die Frage, wie das System in diesem Punkt neu ausgerichtet werden muss, lässt sich derzeit aber ebenso wenig abschließend beantworten wie die Frage nach der Zukunft der Verlage und Bibliotheken insgesamt. Dass die Formen des wissenschaftlichen Publizierens sich weiter wandeln werden, steht außer Frage und keiner der Referenten mochte beschwören, dass diese Publikationsformen auch immer weiter von Verlagen getragen sein werden. Einigkeit herrschte nur darin, dass man alle Möglichkeiten ausschöpfen sollte, den Prozess aktiv zu gestalten. Nach Eva Gilmer besteht sonst die Gefahr, dass es einem mit den Verlagen ergeht wie mit den Stadtwerken: man schafft heute ab, was man sich morgen schon zurückwünscht.