FiF-Workshop 2015 Techniken der Prüfung?
Verfahren des Wertens, Messens und Urteilens 1780-1920
Workshop Berlin 27.2.2015
Vor nicht allzu langer Zeit wurde noch regelmäßig die Technikblindheit der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften konstatiert. Inzwischen ist die Rede von „Techniken“ aber auch in der Philosophie und Soziologie, in den Geschichts- und Bildungswissenschaften sehr verbreitet. Wichtige Impulse gingen dabei insbesondere von Michel Foucaults Schriften aus, die Dynamiken der Macht, Prozesse der Disziplinierung und Formen der Subjektivierung als „Techniken“ oder „Technologien“ begreifen. Das Feld der so genannten Techniken reicht dabei von den antiken Ethiken über die Regierungsformen der frühen Neuzeit bis zur Strafjustiz des 19. Jahrhunderts. In der Folge wird nun häufig mit großer Selbstverständlichkeit von Psychotechniken, Lehr- und Lerntechniken oder Techniken der Subjektivierung gesprochen, bei denen es sich teilweise um Prüfungsverfahren bzw. -praktiken handelt. Dabei fällt auf, dass trotz – oder gerade wegen – der ubiquitären Verwendung des Ausdrucks kaum je geklärt wird, inwiefern es sich hierbei eigentlich um Technisches handelt.
Ziel des Workshops war es, zu klären, wie tragfähig die Rede von Techniken auf dem Gebiet theologischer, pädagogischer und psychologischer Prüfungsverfahren bzw. -praktiken ist. Es ging darum, der Rede von „Prüfungstechniken“ ihre Selbstverständlichkeit zu entziehen und stattdessen ihre mögliche Bedeutung, Funktion und Grenzen zu klären. Prüfungen markieren – und deshalb bieten sie sich in besonderer Weise an – dabei einerseits einen Kreuzungspunkt zwischen Theologie, Pädagogik und Psychologie. Andererseits ist das im 20. Jahrhundert sich rasch ausbreitende Prüfungswesen heute noch von ungebrochener Relevanz. Nach 1900 haben nicht nur schulische Prüfungen weiter zugenommen und sind gleichzeitig immer stärker durch Justitiabilität und damit Standardisierung geprägt worden. Verschiedene Formen der Prüfung, des Tests, der Evaluation wurden vor allem in der Psychologie entwickelt, dann aber rasch und weit ausgreifend in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen aufgegriffen. Intelligenz- und Kompetenzprüfungen, Persönlichkeits- und Eignungstests stellen die weithin sichtbaren Produkte dieser Geschichte dar, die aber in informeller Weise (berufliche Bewährungsproben) deutlich weiter reicht.
Der Gebrauch des Ausdrucks „Prüfungstechnik“ ist in diesem Zusammenhang alles andere als eindeutig. Einerseits legt er die objektive Erfassung von Leistungen nahe. In dieser Bedeutung gelten psychometrische Prüfungsformen vor allem als Messtechniken, die Vorurteile ausschalten und so Gerechtigkeit ermöglichen. Andererseits stehen sie im Verdacht, dass Normen lediglich auf verdeckte Weise in die Techniken „eingebaut“ werden und es sich um Machttechniken handelt, die soziale Ungleichheit reproduzieren. Es ist offensichtlich, dass sich diese beiden Perspektiven nicht nach Art einer einfachen Alternative auflösen lassen. Beide sind Ausdruck der Möglichkeit, dass sich Menschen nach den Maßstäben richten, die an sie angelegt werden, so dass Verfahren des Wertens, Messens und Urteilens immer auch die Selbst- und Weltverhältnisse derer ändern, die eine Prüfung durchlaufen.
Als Untersuchungszeitraum setzte der Workshop ein langes neunzehntes Jahrhundert von 1780 bis 1920 an, um die wichtigsten Umbrüche einfangen zu können, die von pietistischen Praktiken der Selbstprüfung zur Entwicklung schulischer Prüfungen und zur Etablierung psychometrischer Testverfahren führen. In welchem Verhältnis der pädagogische Diskurs und schulische Prüfungsverfahren zu den Entwicklungen auf dem Gebiet der theologischen und psychologischen Prüfungsverfahren steht, ist eine offene Frage, deren Beantwortung nur in gemeinsamer Arbeit wahrzunehmen ist.
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