FiF-Workshop 2017 Entwerfen & Erfinden

Workshop zur FiF Lecture 2017 mit Günter Figal

Kreativität entsteht nicht im Nirgendwo, sondern knüpft immer an etwas an. Die erstmals stattfindende FiF Lecture mit anschließendem Workshop zum Thema „Entwerfen & Erfinden“ knüpfte so auch an die FiF-Veranstaltungen vom Oktober 2016 zur Kreativität an und nahm Fragen nach Artikulationsweisen kreativer Praxis wieder auf.

Plakat zum FiF-Workshop Entwerfen und Erfinden

30. November 2017 FiF Lecture

Den Auftakt der Veranstaltung gestaltete Günter Figal mit seinem Vortrag „Entwurf mit geliehener Landschaft. Phänomenologische Überlegungen zum Möglichkeitssinn in der Architektur“, in welchem der Philosoph Reflexionen zur kreativen Praxis des Entwerfens am Beispiel architektonischer Werke entfaltete. Insbesondere an Werken des japanischen Architekten Tadao Ando, dessen Bauwerke eine enge Verbindung von traditionellen japanischen und modernen Elementen aufweisen und sich im Gegensatz zu etwa skulptural auftrumpfenden Formen als demonstrativ zurücknehmend charakterisieren lassen, wurde der Prozeß des Entwerfens als eine komplexe Suchbewegung, als ein sich im Möglichkeitsraum bewegendes Suchen thematisiert. Andos Stil ist geprägt durch die variierende Wiederholung einfacher geometrischer Formen. Die aus feinstem Sichtbeton gestalteten Schaltafeln sind nach der Größe von Tatami-Matten bemessen. Statt der Imitation von Natur ist vielmehr Harmonie zwischen geliehener Landschaft und Bauwerk angestrebt.

Die traditionelle aristotelische Konzeption des Hauses, die von der immateriellen Form in der Seele des Architekten ausgeht zur Realisierung in Materie, greift nicht weit genug, da ein Haus nie unmittelbar zur Realisierung gebracht werden kann. Was auf dem Wege geschieht, gewissermaßen zwischendurch in der Spanne von Sinn zu Sinn, ist für den Begriff des Entwerfens gerade entscheidend. Das Wissen um den Sinn eines Hauses bedingt dessen Entwurf, indem bestimmte Möglichkeiten vorgegeben sind, die aber sehr verschieden realisiert werden können. Und so zeigt sich der Sinn eines Museums erst mit dem konkreten Bauwerk, da es diesen zuvor nicht entfalten kann und nicht alles beim Gestalten bereits mitgedacht werden kann. Während das aristotelische Haus nirgendwo steht, utopisch ist, zwar Mauern und Ziegel hat, aber keinen Ort, ist jedes reale Bauwerk in einen Kontext gestellt, denn wenn man es betrachtet, tut man es immer in seiner Umgebung – in einer geliehenen Landschaft. Diese kann sich verändern, wenn Bäume wachsen oder gefällt werden, was der Architekt in Kauf nehmen muss, bleibt die Landschaft doch eine geliehene. Insofern ließe sich auch die gleichsam zirkuläre Bewegung zwischen Denken, Prüfen, Revidieren beim Entwerfen nicht als ein Erfinden verstehen, sondern als ein Nehmen dessen, was man findet. Entworfen wird dann nicht etwas Bestimmtes, sondern die Situation selbst. Das Entwerfen als ein Durchwandern von Landschaft ist eine ursprüngliche Erfahrung des Fragens und Abwägens und der Verbindung von Möglichkeiten, die in der Kommunikation mit der Landschaft zur Konkretisierung des Baues führt. Der Architekt befragt die Landschaft geradezu danach, wie ein Bauwerk auf eine bestimmte Landschaft antworten könnte. In gewisser Weise ist die Landschaft so nicht nur als eine geliehene zu begreifen, sondern auch als eine verleihende, weil sie mitbestimmend für das Bauwerk selbst ist – etwa als gebaute Verdeutlichung dessen, was da ist. Und entworfen wird so auch nicht nur das Bauwerk, sondern die Landschaft gleichermaßen. Das Spiel der Möglichkeiten im Landschaftsdialog ist aber kein unendliches, sondern führt irgendwann zur Entscheidung und somit zur Inszenierung einer bestimmten Möglichkeit, die als Manifestation von Möglichkeit in der Wirklichkeit zu begreifen ist.

1. Dezember FiF-Workshop Zusammenfassung

Felix Waechter (Architektur, TU Darmstadt) suchte als Forschender, Lehrender und Bauender in seinem Vortrag den Interessierten das Spezifische des architektonischen Entwerfens zu veranschaulichen, denn entworfen wird vieles, so auch der Tagesablauf. Das Entwerfen basiert auf Intuition, im Zusammenspiel und in Ergänzung aller Sinne.

Das Entwerfen ist nicht das Arrangieren vorgegebener Funktionen und keine bloße Erfüllung derselben; es ist eine Bewegung des Ordnens und die Suche nach dem Wesentliche, um eine Möglichkeit spezifisch zu fixieren. Was aber ist das „Wesentliche“? Hier zeigt sich die unmittelbare Kopplung architektonischen Entwerfens mit der Persönlichkeit des Entwerfenden. Im Gegensatz zur Wissenschaft, wo die Persönlichkeit im Sinne des Subjektiven verbannt werden soll, führt gerade die unterschiedliche Persönlichkeit bei gleichen Aufgabenstellungen zu teils vollkommen andersgearteten Entwürfen. Dabei hat sich die Aufgabe des Entwerfens historisch nicht gewandelt, allerdings die Entwurfsmethodik und dabei der Versuch, das Entwerfen als wissenschaftliche Praxis zu objektivieren. Viel mehr als eine Wissenschaftlichkeit des Entwerfens zu konstruieren, wiegt die Einsicht, dem Entwerfen liege ein Prozess der Wissensgenerierung zugrunde.

Mit dem Titel „Kreativität und das notationale Nadelöhr“ stellte Oliver Tessmann (Architektur, TU Darmstadt) die Frage, wie digitale Werkzeuge die Architektur verändern können und wie sich der Mensch auch in Zukunft Schnittstellen erhält, um in kreativen Prozessen mitzuwirken. Der Mensch zeichnet sich durch Kreativität und Intuition aus, und der Computer dient ihm geradezu als „Söldner“, indem er Befehle abarbeitet. Mit der Entwicklung digitaler neuronaler Netzwerke, die gleichsam als trainierend verstanden werden können, stellt sich aber zunehmend die Frage, ob es sich lediglich um das Abarbeiten von Befehlen handelt und ob es überhaupt einen Dirigenten braucht? Was ist also noch Entwurf und wo endet er? Verselbständigen sich neuronale Netzwerke und wird der Architekt gar obsolet, wird er zum Anachronismus? Es wäre naiv zu glauben, Netzwerke würden aus sich selbst heraus Generatives schaffen, so sind auch die Rahmenbedingungen nach wie vor vom Menschen gesteckt. Der vom Menschen gespannte Möglichkeitsraum lässt sich aber mit Maschinenhilfe effizienter gestalten. Lässt sich hier überhaupt noch von Hilfe sprechen, oder ist die Maschine bereits kongenialer Partner beim Entwerfen, wenn etwa aus einem Entwurf eine Vielzahl von Entwürfen wird? Zugleich hat sich das Bildnis der Maschine als Söldner gewandelt, wenn sie in modularisierten Konstruktionsprozessen Bauteile selbst platziert und der Mensch es ist, der ihr zuarbeitet. Neben Fragen der Arbeitsteilung und der Frage, was der Mensch besser kann als die Maschine oder umgekehrt, bleiben auch ästhetische Zweifel. Denn in keinem Modell ist das Erleben miteingeschrieben, dies bleibt dem Menschen vorbehalten. Ergo: Wäre ein automatisiert hergestelltes, aus Modulen bestehendes „Fallingwater“ schön?

Sabine Ammon (Architektur und Philosophie, TU Berlin) widmete sich in ihrem Beitrag der Skizze als einer besonderen Form des Entwerfens, die nicht bloße Kritzelei oder Grundlage des späteren Werkes ist, sondern mehr noch: Frage, Untersuchung, Selbstvergewisserung sein kann. Am Beispiel Larrys, der eine erste Skizze mehr aus Verlegenheit mit seinen Initialen versieht, in einer weiteren erkundet, wie sich potentielle Formen in Landschaft einfügen würden und in einer dritten wieder neue Überlegungen und konstruktive Details hinzufügt, zeigt sich die zunehmende Manifestation des späteren Entwurfs. Die Skizze gleicht einem Gespräch mit sich selbst, gibt contra, lässt neue Gedanken entstehen und andere verwerfen. Die iterativ stimulierende Tätigkeit des Skizzierenden entwickelt sich zu einem komplexen Netz, das eine spätere Rekonstruktion aller Teilschritte und Entscheidungen nahezu unmöglich macht. So ist bereits die Materialität des Bleistifts, eines weichen etwa, die Entscheidung für flüchtiges, schnelles, assoziatives Arbeiten, das bewusst offene Ergebnisse produziert, die dann innerhalb der Suchbewegungen zur Präzision der Aussage führen. So kann am Anfang eines Entwurfs etwa der B6-Bleistift und leeres Skizzenpapier stehen, aus dem heraus sich dann die Initialzündung erst ergibt.

Florian Arnold (Kultur- und Techniktheorie, HfG Offenbach/Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart) gab den Teilnehmern einen Einblick in seine Dissertation zur Logik des Entwurfs, die einen Entwurf über die Bedingungen der Möglichkeit von Entwürfen darstellt. Der Begriff des Designs, der sich historisch aus dem Begriff des Entwurfs entwickelt, enthält in der heutigen Vorstellung zwei Extreme, die den eigentlichen Prozess des Entwerfens verstellen, gerade weil sie Extreme sind: das Genie und den Ingenieur. So findet das Entwerfen weder in einer Black Box noch in einer Glass Box statt, sondern im Dazwischen als etwa besonderes und gleichzeitig generelles Verständnis von Welt. Sein Vortrag suchte unter Verweis auf die Zentralperspektive Filippo Brunelleschis Kants Transzendentalphilosophie als Entwurf der Vernunft zu bestimmen, sich selbst zu entwerfen – und damit entgegen geläufiger Lesarten Kant gewissermaßen als Vater der Designtheorie zu verstehen. Wir können nicht nicht entwerfen. Oder transzendentalphilosophisch formuliert: Dass wir uns selbst entwerfen, ist die Bedingung der Möglichkeit auch unseres Weltverhältnisses.

Friederike Landau (Soziologie/Stadtforschung, TU Berlin) stellte in ihrem Beitrag am Beispiel Berlins die Frage, wie die zeitgenössische Kulturlandschaft durch die Koalition der Freien Szene (KFS), eine 2012 in Berlin auf den Plan getretene multidisziplinäre Künstlervereinigung, beeinflusst wird. Die KFS entwirft sich als Gegenentwurf zur „hegemonialen“ Kunst- und Kulturszene, indem sie sich kritisch auf den bestehenden Entwurf bezieht, ohne sich aber als Angriff auf etablierte Kulturinstitutionen zu verstehen. Der Selbstentwurf der Szene lässt sich als „gegenhegemoniale“ Praxis begreifen, die gegen die eigene Unterrepräsentanz ankämpft und schließlich aus der Artikulation heraus Legitimation anstrebt.

Der Gegenentwurf zur kreativen Stadt Berlin ist in positivem Sinne als wichtiger Beitrag in der politischen Praxis zu bezeichnen. Wenn sich heute ganze Städte aufmachen, sich selbst zu entwerfen, muss gefragt werden, wer es ist, der da entwirft. Die Intervention als kreative Praxisform lässt den Gegenentwurf nicht nur als Artikulation der eigenen Stimme erscheinen, sondern auch als das Aufzeigen anderer Problemdefinitionen.