FiF Lecture 2019 mit Hans Joas

Die Macht des Heiligen

Hans Joas ist mit einer Reihe bedeutender Publikationen hervorgetreten, die über die akademische Soziologie hinaus großes Interesse geweckt haben.

Plakat zur FiF Lecture 2019

Sein letztes Buch befasst sich mit der „Macht des Heiligen“ (Suhrkamp: Berlin 2017) und der Ambivalenz des Phänomens der Religion in Auseinandersetzung mit Max Webers These einer fortschreitenden „Entzauberung“ als Signum der Moderne. Diesem Thema war auch die von ihm übernommene FiF Lecture gewidmet.

Hans Joas hat gegenwärtig die Ernst-Troeltsch-Honorarprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin inne. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten ist er vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Niklas-Luhmann-Preis 2010, dem Max-Planck-Forschungspreis 2015 und dem Prix Paul Ricoeur 2017.

Rückblick zum Vortrag von Hans Joas über Die Macht des Heiligen

Gegenstand des Vortrags war das Thema von Joasʼ gleichnamigem Buch (Suhrkamp, Berlin 2017). Der Referent ging zuerst ausführlicher auf den Hintergrund des Buches ein (I). Ein zweiter Teil widmete sich dem thematischen Kernstück seiner religionssoziologischen Untersuchungen, der Kritik der Entzauberungsthese Max Webers (II), ehe schließlich ein Alternativvorschlag zur Sprache kam (III).

I. Zum Hintergrund

Hintergrund von Joas‘ Forschungen ist die Debatte über die Säkularisierungsthese, die eine allgemeine Schwächung von Religion behauptet. Auf den ersten Blick erscheint das Phänomen eindeutig: Beobachtet wird eine Schwächung der Religion in ehemals kommunistischen Ländern, vor allem in der ehemaligen DDR, in Tschechien und Estland, aber auch in westeuropäischen Gesellschaften wie Frankreich, Schweden und den Niederlanden. Indes ist bei genauerer Betrachtung zu unterscheiden. Die Muster gleichen sich nicht: es gibt im Blick auf Schweden etwa so etwas wie eine „stellvertretende Religion“, der Begriff passt aber nicht auf die Situation in der ehemaligen DDR.

Die Säkularisierungsthese hat beansprucht, dies zu erklären und einen kausalen Zusammenhang von Modernisierung (wissenschaftlich-technischem Fortschritt einerseits und Wirtschaftswachstum und Wohlstandsgewinn andererseits) und Säkularisierung behauptet. Bemerkenswerterweise sind Vertreter dieser These aber seit geraumer Zeit in die Defensive geraten. Die Gründe liegen, so Joas, einerseits in Fortschritten der wissenschaftlichen Forschung, die etwa gezeigt hat, dass selbst ein Land wie die USA religiös höchst vital und religionsproduktiv ist, dass aber auch Europa in sich sehr heterogen ist. Andererseits sind realgeschichtliche Veränderungen zu konstatieren, die den Konnex von Modernisierung und Säkularisierung in Frage stellen. Erhellend sind hier Blicke in Regionen wie Südkorea und China, wo eine Revitalisierung eigener religiöser Traditionen, aber auch eine Christianisierung zu beobachten ist.

Joas stellte weiterhin die These auf, dass sich die Religion in der Vergangenheit an nationale Gegebenheiten anpasste. Er nannte als Beispiel das politische Engagement der katholischen Kirche in Polen, wo die Kirche auf Seiten der Solidarność Bewegung aktiv war – was der Kirche Sympathien einbrachte und so eine mögliche Säkularisierungsbewegung verhinderte. Wenn es also Tendenzen zur Säkularisierung gebe, so seien diese auf nationaler Ebene zu finden und nicht in der Religion selbst. Eine andere These sucht die Ursache für die Säkularisierung in der Geschichte (seit dem 18. Jahrhundert). Wieder eine andere These schließlich geht davon aus, dass das Ende der Religion in dieser selbst zu suchen ist. Diese These ist wirkmächtig von Max Weber vertreten worden, der in der „Entzauberung“ des Religiösen die Signatur der Moderne wahrgenommen hat. Der Kritik dieser These widmete sich der Hauptteil von Joasʼ Vortrag.

II. Zur Kritik der Entzauberungsthese Max Webers

Im Begriffsumfeld von „Entzauberung“ (englisch: „Disenchantment“) gibt es auch neue Begriffsprägungen, so „Verzauberung“, „Wiederverzauberung“ und „Re-enchantment“. Gemessen an der Prominenz des Weberschen Entzauberungstheorems ist die Quellenlage im Oeuvre Webers indes vergleichsweise dürftig. Denn es gibt gerade einmal 17 Stellen, an denen Weber von „Entzauberung“ spricht! Zwei Stellen (aus der Abhandlung „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“ von 1913 und aus „Wirtschaft und Gesellschaft“ vom Anfang der 1920er Jahre) unterzog Joas in seinem Vortrag einer näheren Betrachtung. In der Abhandlung von 1913 geht es Weber um Magie und die Notwendigkeit, magische Praktiken zu verstehen, bzw. darum, wie Religion sich ändert, wenn Magie geschwächt wird. „Säkularisierung“ oder „Entzauberung“ steht demzufolge für die Schwächung des Magischen an der Religion. In „Wirtschaft und Gesellschaft“ gibt es nur eine einzige Stelle, an der von „Entzauberung“ die Rede ist. Der Intellektualismus ziele auf ein rationales Denken, von dem Weber annimmt, dass es die Welt entzaubere – Welt verstanden als Ursache-Wirkungszusammenhang, nicht aber als wohlgeordneter Kosmos. Die von Joas geltend gemachten Zweifel an dieser These ziehen in Frage, dass intellektuelle Arbeit als solche zur Zurückdrängung des Magischen führt; sie führt in seiner Sicht eher zu einer Systematisierung des Magischen. Auch teilt Joas nicht die Annahme Webers, infolge wissenschaftlicher Rationalität verliere die Welt an Sinnhaftigkeit (wie eine basale Erfahrung wie die Erfahrung von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zeigt). So mag die Tatsache der Säkularisierung unbestreitbar sein, die Erklärung mit Verweis auf die „Modernisierung“ ist es, Joas zufolge, keineswegs. Die Entzauberungsthese behauptet hier eine Zwangsläufigkeit, die nicht vorliegt. Plädiert wird von ihm stattdessen vielmehr für eine politische Erklärung, die etwa das Verhältnis zur nationalen Frage in den Blick nimmt.

Näherhin erkennt Joas drei verschiedene Bedeutungen von „Entzauberung“ bei Weber: Entmagisierung, Entsakralisierung und Enttranszendentalisierung. Der Begriff der „Entzauberung“ ist mithin systematisch mehrdeutig, eine Mehrdeutigkeit, die zur (Erfolgs-)Geschichte des Theorems beigetragen hat. Indes gibt es, wie Joas deutlich zu machen suchte, Prozesse der Entmagisierung nicht ohne ihr Gegenstück, einer Re-Magisierung (man denke an den einbalsamierten Leichnam Lenins!). Entsprechend sind als Reaktion auf Entsakralisierungen neue Sakralitäten zu beobachten, auch eine Stärkung von Transzendenzvorstellungen. Nötig erscheint so auch, religiöse Vitalisierungsprozesse ins Auge zu fassen. Kurzum, eine einlinige, prozeßhafte Geschichte, wie von Webers Entzauberungsthese unterstellt, gibt es nicht. Was wäre demgegenüber eine Alternative?

III. Ein Alternativvorschlag

Die Schlussüberlegungen des Vortrags profilierten nicht so sehr einen bloßen Gegenbegriff, sondern waren das Plädoyer dafür, ein mehrschichtiges Spannungsfeld wahrzunehmen. Erstens, so Joas, geht es um die Wahrnehmung der Dynamik von Sakralsierungen: dass Menschen etwas als Heiliges erleben (wie im Sich-Verlieben oder, allgemein, in der Erfahrung einer Antwort evozierenden, packenden Widerfahrnisses). In den Blick zu nehmen ist sodann, zweitens, die Entstehung von Transzendenzvorstellungen. Sie ist nach Joas eng verknüpft mit der Vorstellung der Entstehung von Menschheit und wirft die Frage auf, wie es dazu kommt, dass etwas als gut für die gesamte Menschheit angesehen wird. Drittens schließlich gibt es nach Joas‘ Urteil aber auch die Gefahr kollektiver Selbstsakralisierung. Sie zeigt sich beispielsweise in der engen Verkopplung des Menschenrechtsgedankens mit der französischen Nation oder mit der Demokratie in den Vereinigten Staaten. Und scheint sie gegenwärtig nicht auch auf in einer kollektiven Selbstsakralisierung Europas in Europa? Wie auch immer, die Macht des Heiligen verweist auf eine offene Geschichte.

Joas‘ Studie „Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung“ (2017) ist im Buchhandel und direkt beim Suhrkamp-Verlag erhältlich.

Impressionen