Martino Tattara
Akademisches Viertel am 11. Juni 2025 mit Martino Tattara
Die Herausforderung:
Umbau des Einfamilienhaus-Bestands/Retrofitting the Single Family Home
Aus dem Vortrag:
Die Transformation von Einfamilienhäusern bewegt sich im Spannungsfeld zwischen dem Erhalt bestehender Strukturen und der Anpassung an neue gesellschaftliche, ökologische und funktionale Anforderungen. Häufig handelt es sich um privat genutzte Bestände, deren Eigentümer nicht über die finanziellen Mittel für eine umfassende Modernisierung verfügen. Dies führt zu Ungleichheiten, wenn geförderte Projekte oder institutionell geplante Vorhaben voranschreiten, während große Teile des Bestands unberührt bleiben.
Mehrere Faktoren verstärken den Handlungsdruck: In manchen Regionen besteht eine ausgeprägte Abneigung gegenüber modernen Architektur- und Raumkonzepten, während zeitgenössische Projekte zugleich neue Maßstäbe setzen. In ländlichen Gebieten verschärfen demographische Entwicklungen, Abwanderung junger Menschen und wachsender Leerstand die Problemlage. Hinzu kommen der bauliche Verfall von Nachkriegsbauten und die zunehmende Diskrepanz zwischen den hohen Kosten umfassender Sanierungen und den sich wandelnden Wohnpräferenzen. Erschwerend wirkt, dass architektonische Vorschläge oft entweder zu kostspielig sind oder umfangreiche Bauarbeiten erfordern, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Eigentümer kaum entsprechen.
Nachrüstungen bieten die Möglichkeit, die bestehende Bausubstanz zu erhalten und zugleich ihren Nutzwert zu steigern. Dazu zählen die Umgestaltung von Grundrissen, die Integration neuer Funktionen sowie die Erschließung bislang ungenutzter Räume wie Dachböden oder Kellergeschosse. Besonders relevant ist die Anpassung an veränderte Lebens- und Arbeitsformen, da die strikte Trennung von Wohnen und Arbeiten im Zuge der Homeoffice-Entwicklung an Bedeutung verliert.
Gerade in strukturschwachen, ländlichen Regionen kann gezieltes Retrofitting zweifachen Nutzen bringen. So sichert und modernisiert es den Bestand und kann gleichzeitig die Attraktivität dieser „aussterbenden“ Gebiete steigern. Flexible, energieeffiziente und multifunktionale Wohnkonzepte können neue Bevölkerungsgruppen anziehen, insbesondere Menschen, die dank ortsunabhängiger Arbeitsmodelle nicht mehr an urbane Zentren gebunden sind.
Perspektiven:
Zukünftig werden mehrere Handlungsfelder entscheidend sein: Die Steigerung der energetischen Effizienz muss konsequent verfolgt werden, um ökologische und wirtschaftliche Ziele miteinander zu verbinden. Erforderlich sind unkonventionelle, technologieoffene Lösungen sowie neue Finanzierungsansätze. Die Einbeziehung von Material- und Baukonstruktionsexperten könnte hier substantielle Fortschritte ermöglichen, da viele Gebäude aufgrund der Arbeitsweise etablierter Bauunternehmen noch immer auf vergleichsweise einfachen Standards basieren. Ergänzend braucht es planerische Rahmenbedingungen und gezielte Anreize, um Investitionen in nachhaltige Nachrüstungen zu fördern.
In der Praxis geschieht die Transformation oft in kleinen, schrittweisen Eingriffen, etwa durch modernisierte Küchen und Bäder, optimierte Raumaufteilungen oder Anbauten. Solche Maßnahmen können die Wohnqualität deutlich erhöhen und die Lebensdauer eines Gebäudes verlängern. Damit ist die Nachrüstung von Bestandsbauten nicht allein eine technische oder wirtschaftliche Aufgabe, sondern ebenso eine gesellschaftliche und kulturelle, bei der Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und die Wiederbelebung ländlicher Räume gleichermaßen im Vordergrund stehen.
