FiF-Forum 2024: „Hochleistung braucht Dissonanz – Was können wir an der TU Darmstadt von einem Weltklasseorchester lernen?“
am 27. Juni | Wilhelm-Köhler-Saal der TU Darmstadt | 12:30 bis 15:00 Uhr
mit Albert Schmitt | Vortrag mit anschließender Gesprächsrunde
Zum Vortrag von Albert Schmitt, Managing Director der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, zum Thema „Hochleistung braucht Dissonanz – Was können wir von einem Weltklasseorchester lernen?“ möchten wir Sie ganz herzlich einladen!
Es wird um die Erfolgsformel des Orchesters als ein Hochleistungsteam gehen – dass nicht permanente Harmonie, sondern der bewusste Umgang mit Dissonanz und Konfliktspannung zum Erfolg führen kann.
27. Juni 2024, 12:30 bis 15:00 Uhr im Wilhelm-Köhler-Saal der TU Darmstadt
Altes Hauptgebäude, Hochschulstraße 1, 64289 Darmstadt | Gebäude S1|03 Raum 283
- 12:30 bis 12:40 Uhr Grußworte von Martin Lommel, Kanzler | Ulrike Nuber, FiF-Fellow
- 12:40 bis 13:40 Uhr Vortrag von und Fragen an Albert Schmitt, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
- Imbiss
- 14:00 bis 15:00 Uhr Gesprächsrunde
Zum Vortrag
Wir suchten das Gespräch mit Albert Schmitt. Ehemals Kontrabassist der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, wirkt er seit über zwanzig Jahren als Managing Director des Orchesters. In dieser Funktion hat er mit der Unterstützung externer Förderer dazu beigetragen, das Orchester zu einem international führenden und einzigartigen Klangkörper zu entwickeln. Unter seinem seit zwanzig Jahren amtierenden Chefdirigenten Paavo Järvi wurden von der Kritik hochgelobte Einspielungen u.a. der Symphonien von Beethoven, Brahms und Schumann vorgelegt. Das Orchester hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt für die Jahre 2023/24 den Publikumspreis „Orchestra of the Year“ von Europas ältestem und führendem Klassikmagazin Gramophone „to celebrate its excellence, and a palpably inspiring musical partnership, as they approach their 20th anniversary“.
FiF-Forum 2024: „Hochleistung braucht Dissonanz – Was können wir an der TU Darmstadt von einem Weltklasseorchester lernen?“
Im Spannungsfeld zwischen angestrebter Spitzenleistung und Geldmangel, zwischen staatlichen Vorgaben und institutioneller sowie individueller Freiheit, zwischen hierarchischen und demokratischen Strukturen steht eine Universität fortwährend vor der Herausforderung, Wege zu finden, die Rahmenbedingungen für exzellente Forschung und Lehre zu fördern und zu sichern – nicht nur im Hinblick auf das Zusammenspiel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch auf die Schaffung effektiver Organisationsstrukturen für (interdisziplinär arbeitende) Hochleistungsteams.
Vor diesem Hintergrund lud das Forum interdisziplinäre Forschung (FiF) Albert Schmitt, Managing Director der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, zum Gespräch ein. Ein Orchester, das sich in „nur“ zwei Jahrzehnten von einer studentischen Gründung bis an die Weltspitze gespielt hat, zu den 10 weltbesten Orchestern zählt, eine tiefe finanzielle Krise überwunden hat und sich seitdem im harten Wettbewerb an der Spitze behauptet. Schmitt stellte das Orchester und dessen Erfolgsformel vor. Das Besondere des Orchesters: Es wird nicht primär durch öffentliche Fördermittel finanziert, sondern konnte seinen Umsatz durch Sponsoring-Einnahmen in den letzten Jahren verzehnfachen und ist als Unternehmen mit den Musikerinnen und Musikern als Gesellschaftern organisiert.
Schmitt berichtete über die Erfolgsformel des Orchesters als Hochleistungsteam, in dem jeder bereit ist, eigenverantwortlich und im Team Spitzenleistungen zu erbringen. Dazu identifizierte er sieben Hochleistungsmerkmale, die für die kontinuierliche Erbringung von Spitzenleistungen des Orchesters essenziell sind. Hierzu zählen das Streben nach Perfektion, die intrinsische Motivation, Spitzenleistungen zu erbringen, sowie der unbedingte Wille, die „Nummer eins“ zu sein, aber auch flexible Organisationstrukturen, die Eigenverantwortung ermöglichen und die Kompetenz zur Selbstorganisation des Teams (auch ohne hierarchische Führung) stärken. Hierzu gehört auch, dass jeder die Rolle der anderen im Team kennt. Nicht zuletzt aber erfolgt die Beurteilung der eigenen Leistung durch Dritte – Hochleistung erschließt sich als solche somit erst durch das unabhängige Urteil anderer. So unabdingbar eine gelungene Zusammenarbeit aller Beteiligten ist, so wenig sinnvoll und erwartbar ist es, nur nach größtmöglicher Harmonie im Team zu streben. Vielmehr ist der bewusste Umgang mit Dissonanzen im Team entscheidend, da sie Impulse für notwendige Veränderungen geben können. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen hat dazu in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftswissenschaftler Christian Scholz die eigenen Hochleistungskonzepte analysiert, die sich in fünf Widerspruchspaaren darstellen lassen und das Ergebnis als sogenanntes „5-Sekunden-Modell“ zusammengefasst, benannt nach dem Intervall (nämlich: Sekunde) zweier benachbarter Töne einer Tonleiter, die gleichzeitig erklingend die größtmögliche Dissonanz erzeugen. Widersprüche als Leistungsprinzip zeigen sich, Schmitt zufolge, in fünf verschiedenen Gestalten: Notwendigkeit und Sinn (strategisch), Hierarchie und Demokratie (mechanisch), Perfektion und Abenteuer (organisch), Energie und Konzentration (intelligent), Erfolg und Spaß (kulturell). Diese Widersprüche gilt es zu erkennen und bewusst zu gestalten. Die Sekunden offenbaren sich als Doppelnatur. Der eine Aspekt dieser Doppelnatur ist die oben genannte maximale Reibung bei Gleichzeitigkeit der Widersprüche. Der andere Aspekt der Sekunde ist klingender Fortschritt bei sukzessiver Verwendung. Genau darin besteht auch eine der Auflösungsmöglichkeiten von Widersprüchen, beispielsweise der zeitlich wechselnden Anwendung von Hierarchie und Demokratie.
In der sich anschließenden Podiumsdiskussion, an der neben dem Referenten außerdem Martin Lommel (Kanzler der TU Darmstadt), Harald Holzer (HIGHEST Innovations- und Gründerzentrum), Ulrike Nuber (FiF-Fellow, Biologie), Iryna Gurevych (Informatik) und Elias Hamel (Student der Physik) beteiligt waren, wurden Möglichkeiten und Hindernisse exzellenter Forschung diskutiert, insbesondere bezüglich der Zusammenarbeit von Spitzenteams und im Hinblick auf die Attraktivität der Universität für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Im Fokus stand vor allem die Frage, inwieweit die TU Darmstadt als autonome Universität von den Erfahrungen eines eigenständig und unternehmerisch wirtschaftenden Orchesters lernen kann.
Während Harald Holzer und Ulrike Nuber den Impuls in die Runde gaben, über unternehmerische Aspekte wie auch Sponsoring und Fundraising an der TU Darmstadt nachzudenken, bemerkte Martin Lommel, dass eine „unternehmerische“ Universität die Befürchtung weckt, ökonomischen Gewinn mit einem Verlust an wissenschaftlicher Freiheit (verstanden als Unabhängigkeit von externen Geldgebern) zu bezahlen. Elias Hamel wies darauf hin, dass auch Orchester abhängig von der Nachfrage sind und sich nicht leisten können vor leerem Haus zu spielen. Genau diese Pole entsprechen der „Sekunde“ Notwendigkeit und Sinn, deren Lösung der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen im künstlerischen Bereich hervorragend gelingt und zu musikalischen Hochleistungen verhilft.
Im Wettbewerb mit anderen Hochschulen um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten indes andere Aspekte als nur das Geld ausschlaggebend sein, so wie die besondere Attraktivität der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen für namhafte Dirigenten und Solisten auch nicht primär auf monetären Faktoren beruht. Entscheidend sind vielmehr künstlerische Unbedingtheit und die Möglichkeiten, Neues auszuprobieren. Analog hierzu könnte sich die TU Darmstadt im Wettstreit der Universitäten etwa durch mehr Gestaltungsfreiheit, Freiräume für neue Ideen und Stärkung ihres interdisziplinären Profils behaupten. Die Rahmenbedingungen für exzellente Forschung sind, insbesondere in Finanzierungsfragen, kontinuierlichen Veränderungen unterworfen. Teams erfahren einen großen Konkurrenzdruck. Hochleistung sowie das Streben danach sollten, so Schmitt, dabei das Resultat intrinsischer Motivation sein und nicht durch äußeren Druck veranlasst sein (der nur zu leicht zu psychischen Erkrankungen führt). Dem Auswahlprozess und dessen Struktur zur Findung neuer Teammitglieder kommt dabei eine zentrale Rolle zu, denn gefunden werden müssen insbesondere Personen, die intrinsisch motiviert und bereit sind, sich in ein Team einzufügen. So könnte man, wie Ulrike Nuber anregte, Berufungsverfahren auch an der Universität dahingehend überdenken und umgestalten, dass Mitglieder gewonnen werden, die sich als Teamplayer verstehen und denen Rollenwechsel zwischen Führung und Unterordnung in Teams möglich sind. Iryna Gurevych bekräftigte, dass Rollenwechsel besonders in internationalen, heterogenen Teams wichtig für das gemeinsame Erreichen von Hochleistung sind.
Ein wertschätzender Umgang miteinander ist in diesem Kontext, worauf Martin Lommel hinwies, von zentraler Bedeutung. Eine angemessene Reaktion auf Dissonanzen und Konflikte muss hierbei als Erfolgsfaktor verstanden werden. Indes gehört auch Scheitern zum Erfolg, und es bedarf einer konstruktiven Fehlerkultur, die dazu ermutigt, auch Risiken einzugehen, um innovative Ansätze zu verfolgen. Man lernt, wie Schmitt sagte, aus nichts mehr als aus Niederlagen. Das wiederum ist auch der Wissenschaft nicht fremd. Denn was wir wissenschaftlichen „Fortschritt“ nennen, ist oft mit Fehlern und Konflikten verbunden. Insofern gilt es, Konflikte zur Sprache zu bringen und auszutragen. Gegebenenfalls sollte auch keine Scheu bestehen, die Möglichkeiten externer Beratungs- und Coachingangebote zu nutzen, so Schmitt.
Eine starke Identifikation mit der Universität ist, da war sich das Podium einig, für das Teamverständnis und das Bestehen im harten Wettbewerb zwischen Universitäten essenziell. Dies erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Selbstverständnis der Universität, welches klar beschreibbar sein sollte. Auch wenn die TU Darmstadt nicht wie andere Universitäten auf eine mehrhundertjährige Geschichte zurückblicken kann, lassen sich doch andere Anknüpfungspunkte finden. Die TU Darmstadt ist die erste autonome Universität in Deutschland, es besteht ein großes Interesse an gemeinsamer Problemlösung und Selbstreflexion. Die TU Darmstadt hat ferner ein starkes interdisziplinäres Profil, das weiterhin zu fördern ist. Der Wille, Herausforderungen anzunehmen und etwas zu bewegen, ist gegeben. Patentrezepte für gelingende Innovationen gibt es freilich nicht – weder bei Teams in der Wissenschaft noch in der Kunst. Entscheidend bleiben gemeinsame Grundüberzeugungen, Freiräume des Denkens und Handelns, der Wille und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren und dies auch zuzulassen, das permanente Bemühen, Grenzen des Machbaren zu verschieben, Annahme und kompetenter Umgang mit daraus erwachsenden Konflikten sowie, nicht zuletzt, Demut hinsichtlich der je eigenen Rolle und der Rolle der Anderen. Freiräume für Neues zu bewahren und zu fördern, ist nicht das Geringste, wovon, bei allen Differenzen, wissenschaftliche und musikalische Hochleistung lebt.
„Wenn wir spielen, dann rockt die Bühne. Dann ist wirklich von jedem Musiker maximaler Einsatz da und maximale Begeisterung dabei, und dann kriegt man andere Ergebnisse.“ (A. Schmitt in Deutschlandfunk Kultur 21.12.2016)
Das Orchester ist einzigartig gut weil es einzigartig anders ist als andere Spitzen-Orchester – in vielerlei Hinsicht. Dies betrifft u.a. die Organisationsform (ein Unternehmen – 2007: Deutscher Gründerpreis, Sonderpreis für besondere unternehmerische Leistungen – allerdings mit einer sehr hohen Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Mitglieder), besondere Umgangsformen und Werte sowie das soziale Engagement des Orchesters. Die Mitglieder wurden auch einmal als „Rebellen im Kulturbetrieb“ bezeichnet. Es ist einzigartig gut – Weltklasse – obgleich nur minimal subventioniert im Vergleich zu den meisten anderen Berufsorchestern, die im wesentlichen durch Subventionen (ca. 90%) finanziert werden.
„Selbstbestimmung: Musikalisch und ökonomisch unabhängig
Seit der Orchestergründung eint die Musiker der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen der Wille zur Unabhängigkeit. Frei zu sein in der Programmgestaltung und unabhängig in der musikalischen Interpretation. So werden wichtige musikalische Angelegenheiten demokratisch von allen Musikerinnen und Musikern entschieden. Aber nicht nur das: Auch die Ökonomie wird gemeinschaftlich verantwortet – einzigartig in der Welt der großen Orchester.
Und noch etwas verbindet die 41 Virtuosen: das gemeinsame Ziel, Musik jeden Tag neu zu entdecken – bis hinein in die subtilsten Einzelheiten einer Partitur. Möglich ist dies durch das hohe musikalische Niveau des Orchesters. Die vielgelobte Präzision und das energiereiche, detailbesessene Spiel wurzeln in der solistischen Virtuosität und kammermusikalischen Expertise eines jeden einzelnen Orchestermitglieds. Die Erfolgsformel ist nicht permanente Harmonie, sondern der bewusste Umgang mit Dissonanz und Konfliktspannung.“
Zur Webseite der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen
Das 5-Sekunden-Modell – Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
In Darmstadt gibt es eine sehr gute technische Universität, die ebenfalls einzigartig ist und diesem Orchester in mancherlei Hinsicht ähnelt – die erste autonome Universität Deutschlands. Dieser Status bringt ebenfalls eine hohe Eigenverantwortung sowie Gestaltungsmöglichkeiten mit sich.
Beide haben noch sehr viel mehr gemeinsam. Das musikalische bzw. wissenschaftliche Zusammenspiel hochqualifizierter Personen (an der TUDa v.a. auch in interdisziplinären Teams) ist eine Herausforderung, wie auch der Umgang mit einem sich verändernden Umfeld, in dem der Anteil der Grundfinanzierung zunehmend sinkt und eigene Einnahmen (in unserem Fall selbst eingeworbene Forschungsdrittmittel unterschiedlicher Geldgeber) und die Außendarstellung eine immer größere Rolle spielen.
Beide befinden sich an Standorten (Bremen, Darmstadt), die in ihrer Branche weniger bekannt sind und nicht als traditionsreiche Musik- bzw. Wissenschaftsstandorte gelten.
Bei der sich anschließenden Gesprächsrunde wird es darum gehen, was eine autonome Hochschule aus den Erfahrungen des eigenverantwortlich geführten Orchesters lernen könnte. Welche Erkenntnisse können insbesondere für die Teamarbeit gewonnen werden, wie kann das Gegensätzliche zusammen gedacht werden, nachgerade zu einer Lust an der Dissonanz und damit zu etwas Positivem werden? Wie kann das Potential Einzelner zu einem Spitzenteam verwoben werden? Wo bestehen Hürden, wo liegen Chancen?
An der Gesprächsrunde nehmen u.a. teil:
- Dr. Martin Lommel – Kanzler der TU Darmstadt
- Harald Holzer – Geschäftsführer HIGHEST Innovations- & Gründungszentrum TU Darmstadt
- Prof. Dr. Ulrike A. Nuber – Professorin am Fachbereich Biologie, Stammzell- und Entwicklungsbiologie
- Prof. Dr. Iryna Gurevych – Professorin am Fachbereich Informatik, Ubiquitous Knowledge Processing (UKP) Lab
- Elias Hamel – Physikstudent an der TU Darmstadt
Die Moderation übernimmt Frau Dr. Claudia Becker.