FiF Lecture 2023 mit Prof. Dr. Dieter Thomä

FiF-Lecture „Brauchen Demokratien Helden?“

Was: Öffentlicher Vortrag

Wann: 16. Mai 2023, 18 Uhr

Wo: Lichtenberg-Haus, Dieburger Straße 241

Am 16. Mai wird Prof. Dr. Dieter Thomä die diesjährige FiF Lecture halten. Dieter Thomä lehrt Philosophie an der Universität St. Gallen. Seine Arbeiten haben international große Resonanz gefunden. So war er u.a. Fellow am Max Weber-Kolleg in Erfurt, am Wissenschaftskolleg zu Berlin und am Institute for Advanced Study in Princeton, außerdem Gastprofessor u.a. an der Yale University (USA).

Die Figur des Helden ist in den letzten Jahren arg gebeutelt worden. Auf der einen Seite wurde sie von vielen als antiquiert oder gar als gefährlich bezeichnet. Nach der Empfehlung mancher Soziologen sollten wir uns in einer „postheroischen“ Gesellschaft einrichten. Auf der anderen Seite kam es im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und auf andere Weise dann im Zuge des Ukraine-Kriegs zu einer Wiederkehr und einem neuen Aufstieg der Helden. Dieser Vortrag ist ein Versuch, den divergierenden Parteinahmen auf den Grund zu gehen und die Rolle des Heldentums in der Demokratie zu klären. Dieter Thomä entwickelt eine Minimaldefinition des Heldentums und prüft, ob es zu den demokratischen Idealen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit passt. Er vertritt die These, dass man vor manchen Helden auf der Hut sein sollte, die Demokratie das Heldentum aber nicht ihren Verächtern überlassen darf. So kommt es darauf an, das demokratische Heldentum von seinen autoritären oder totalitären Verwandten zu unterscheiden. In der Krise der Demokratie – und wann ist sie nicht in der Krise? – sind Heldinnen und Helden nicht nur geduldet, sondern willkommen.

Die liberale Demokratie sieht sich aktuell von verschiedenen Seiten herausgefordert. Sie ist in der Krise wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Autokratische und diktatorische Regimes suchen Schwächen der Demokratie offenzulegen bzw. die demokratischen Gesellschaften bewusst zu schwächen. Populistische und nationalistische Tendenzen im Inneren tun das Ihre, um eine Demokratiemüdigkeit oder gar Demokratieverachtung zu befördern. Die Frage nach Demokratie und Heldentum erscheint auf den ersten Blick merkwürdig – zumal in Deutschland, wo man durch die Erfahrung der Nazi-Herrschaft und zweier Weltkriege auf besondere Reserven gegenüber der Rede von „Heldentum“ trifft, der Begriff des „Helden“ immer noch fast ausschließlich mit dem des „Kriegers“ identifiziert wird. Das muss – und sollte – jedoch, wie Dieter Thomä zeigte, durchaus nicht die alleinige und bestimmende Perspektive auf den Begriff und die mit ihm assoziierte Sache sein. Andere Länder wie Frankreich und die USA etwa zeigen, dass es ohne Vorbehalte möglich ist, von Helden mit Bezug auf die demokratische Sache zu sprechen. Hat man sich in Deutschland womöglich bereits in der sogenannten „Postdemokratie“ eingerichtet, getreu Brechts Satz „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“? Es könnte indes ratsam sein, die eigene Provinz zu verlassen und anderen Beispielen zu folgen – und damit die Rede vom „Helden“ nicht von vornherein den Autokraten und Diktatoren zu überlassen. Brechts Leben des Galilei stellt immerhin auch eine andere Sicht zur Debatte, wenn er den Schüler Galileis sagen lässt: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat!“

Wenn aber der Held nicht mit dem heroischen Krieger gleichzusetzen ist – wie ist der Begriff als „Kontrastwort“ genauerhin zu verstehen, und wie kann man ihn ins Verhältnis zur Demokratie setzen?

Der Abschaffung des Helden durch die postheroische Gesellschaft und die Heldenvermehrung im Namen demokratischer Gleichheit sind, Thomä zufolge, gleichermaßen zurückzuweisen. Denn Gleichheit bedeutet nicht Gleichmacherei. Der Held markiert vielmehr einen „Höhenunterschied“ und insofern Ungleichheit, die sich als Stachel im Fleisch der Demokratie sehr wohl mit dieser verträgt. Helden können, auch in unseren Imaginationen, Vorbilder sein, an denen wir uns orientieren, die uns auf neue Möglichkeiten, vorher nicht wahrgenommene Freiräume im Leben aufmerksam machen oder auch, wie Edward Snowden, demokratische Verfassungsgrundsätze in Erinnerung rufen.

Als charakteristische Kennzeichen eines Helden benannte Thomä dreierlei: Ein Held riskiert – erstens – etwas, er riskiert zuletzt sich selbst in seinem Eintreten für eine große Sache (wofür etwa die Philosophin Anne Dufourmantelle in ihrem Buch Lob des Risikos plädiert hat und wofür sie um den Preis ihres Lebens auch selbst eingestanden ist). Die große Sache steht – zweitens – für das Engagement für Menschlichkeit, das (physisch oder sozial gefährdete) Humanum – und gerade nicht für das Eigene, den eigenen Vorteil. Der schon angesprochene Höhenunterschied schließlich meint die Vorbildfunktion von Helden, die es vermögen, inspirierend und ermächtigend auf uns zu wirken. Das Plädoyer für ein demokratisches Heldentum ist auch in dieser Hinsicht kein Widerspruch in sich.

Heldentum und Demokratie, so Thomä, sind vereinbar, gerade auch wenn man sie im Kontext der Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit betrachtet. Denn Helden verkörpern die Fähigkeit, für das Gute einzutreten, die große Sache anzugehen und als Vorbilder zu dienen. Demokratien benötigen solche Helden, um die Grundlagen, auf denen sie beruhen, zu stärken und gegebenenfalls zu verteidigen. Es liegt in der Verantwortung einer demokratischen Gesellschaft, den Mut und das Engagement von Helden zu würdigen und gleichzeitig sicherzustellen, dass sie im Einklang mit den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stehen.

Zur Person:

Dieter Thomä ist seit dem Jahr 2000 Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Er war Fellow u.a. am Getty Resarch Institute
(Los Angeles), am Wissenschaftskolleg zu Berlin und am Institute for Advanced Study (Princeton) sowie Gastprofessor an der Brown University und Yale University. Seine letzten Buchveröffentlichungen sind „Warum Demokratien Helden brauchen“ (2019) und „Puer robustus. Eine Philosophie des Störenfrieds“ (2016).

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