Denker, Kai

Zorn und Netz, Vortag am 10.02.2021

mehr zur Person

Die Herausforderung

Fungieren die Foren sozialer Netzwerke als Durchlauferhitzer des Zorns?

Aus der Diskussion:

Durch die Erfindung des Internets und die Etablierung sozialer Netzwerke gibt es neue Möglichkeiten, Hass, Hassrede, Rassismus, (Hetero-)Sexismus, Antisemitismus und Zorn zu verbreiten – nicht nur auf anonymen und wenig moderierten Plattformen. Digitale Hasskriminalität ist heute ein weitverbreitetes Phänomen. Wenn gleichwohl eher von „Zorn“ statt von Hass, Wut oder Aggression in diesem Zusammenhang die Rede sein soll, hat dies mit der Doppelnatur des Zorns zu tun: positiv wie negativ wendbar (Heldentum/Mut vs. Hass/Aggression), individuelles, aber auch kollektives Phänomen, willkürlich oder rational, potenziell und aktuell zu sein. Zorn kann sich entladen, wozu er freilich auch erst „geladen“ werden muss. Er ist als eine Kraft zu verstehen, die sich auf verschiedene Weisen aktualisieren kann (worauf etwa Peter Sloterdijk deutlich hingewiesen hat). Zorn im Netz ist gegenwärtig weitgehend am politisch rechten Rand zu beobachten. Es fragt sich, worin Techniken des Zorns zu sehen sind bzw. wie Zorn zu einer Ressource und zu einem kollektiven Phänomen werden kann, wie er sich im Netz entlädt und wie er im Netz konserviert wird. Shitstorms im Netz sind mittlerweile wohl immer auch Produkt einer Inszenierung, für deren Herstellung es sogar Anleitungen in Gestalt von Handbüchern im Netz zu finden gibt. Hier geht es nicht um Diskussionen miteinander, sondern das Ziel ist die Einwirkung auf Dritte, auf das Publikum. Solche „Techniken“ des Zorns werden zunehmend zum Problem: Sie werden zu einer Systemtechnik, in der „Zornpotentiale“ erzeugt, gepflegt und strategisch genutzt, d.h. zur Entladung gebracht, werden. Zorn wird hier zu einer Größe, über die strategisch disponiert werden kann. Einzelne Nutzer können kaum etwas ausrichten, aber strenge (regelgeleitete) Moderation und Deplatforming sind mögliche Strategien, die allerdings von den Plattformbetreibern implementiert werden müssen (was wiederum eine ganze Reihe eigener Frage nach sich zieht).

Perspektiven:

Eine effiziente Bekämpfung von Zorn im Netz ist nur durch den Eingriff der Plattformbetreiber und durch strengere regulative Maßnahmen seitens des Staates möglich – wobei sich hier freilich rechtliche Fragen stellen, denn aus gutem Grund ist die (straf)rechtliche Beschränkung von Redefreiheiten nur in sehr engen Grenzen möglich. Einige große Plattformen haben bereits gegengesteuert und setzen ihre Moderationsrichtlinien nun strenger um. Allerdings führte dies nur zu einer Ausweichbewegung der problematischen Nutzer, die sich nun auf anderen Plattformen tummeln.

Offen bleibt, welche Strategien vielversprechend sein könnten. Denn nicht alles, was moralisch verwerflich ist, ist auch deshalb schon strafrechtlich zu sanktionieren. Dass es aber nicht nur um eine Frage des „Anstands“ im Netz geht, zeigt das Phänomen des stochastischen Terrorismus: Rechtsextremisten verbreiten ihre Inhalte, hetzen auf, organisieren „Zorn“ und irgendwann nehmen Einzeltäter („einsame Wölfe“), die mitunter gar keine erkennbaren Verbindungen zur rechten Szene aufweisen, „die Sache“ (d.h. die Waffe) „selbst in die Hand“ (vgl. Halle, Hanau, Kassel).