Engels, Jens Ivo

Wie schreibt man eine Geschichte der Korruption?, Vortrag am 25.11.2020

Mehr zur Person

Die Herausforderung:

Wie schreibt man eine Geschichte der Korruption?

Aus der Diskussion:

Gemäß einer Standarddefinition ist Korruption der Mißbrauch einer Machtstellung zu privatem, individuellem Nutzen. Was man darunter versteht, ändert sich freilich im Laufe der Geschichte. Eine klare Abgrenzung des „Privaten“ vom „Öffentlichen“ gibt es erst seit Beginn der Moderne, d.h. seit der Zeit um 1800. Entsprechend ist das Verständnis dessen, was als „korrupt“ zu gelten hat, davon abhängig, wie und wo die Zuordnung zum Privaten resp. Öffentlichen vorgenommen wird. Auch die Kontexte der Gabe von Geschenken können eine Rolle spielen. In der Vormoderne waren Geschenke an Richter und Amtsträger durchaus üblich. Sie waren aber nur akzeptiert, wenn sie öffentlich stattfanden. Geheim überreichte Gaben standen dagegen unter Korruptionsverdacht. Derart oszilliert Korruption zwischen Beschreibung und Bewertung. Was als legitim bzw. illegitim einzustufen ist, steht nicht ein für allemal fest, ist vielmehr geschichtlich variabel. Deshalb erscheint es sinnvoll, zwischen Debatten über Korruption und Praktiken der Begünstigung zu unterscheiden. Verhaltensweisen aber ändern sich, und so ist in historischer Perspektive auch von einem Normenwandel durch die Änderung von Praktiken auszugehen, etwa indem die Geschenkübergabe an Amtsträger nur noch heimlich stattfindet. Zu beachten ist ferner die Änderung der politischen Ausrichtung der Debatten über Korruption. Vor 1800 gegen das Ancien régime gerichtet, ist Korruptionskritik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher liberal geprägt gewesen. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert dagegen antikapitalistisch und antiparlamentarisch, auch antiliberal, konnotiert, in unserer Gegenwart wiederum einerseits verbunden mit neoliberalen Konzepten, aber auch mit populistischen Strömungen und Tendenzen.

Perspektiven:

Die Herausforderungen für die weitere Forschung sind vielfältig: Was ist der gewählte empirische Fokus (Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Zivilgesellschaft)? Wie bildet man das Phänomen kultureller Differenzen ab? Wie hilfreich sind die Konzepte der Modernisierungstheorie und der Korruption überhaupt?