Jörke, Dirk

Politikwissenschaft, Politische Theorie, Vortrag am 30.1.2019

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Die Herausforderung:

Im postfaktischen Zeitalter wird die Wissenschaft als parteiisch und Akteur innerhalb eines Kulturkampfes von Teilen der Gesellschaft war genommen. Wie soll die Wissenschaft, insbesondere die Sozialwissenschaft, mit diesem Vorwurf umgehen?

Aus der Diskussion:

Viele, besonders jüngere, Forscher aus der Sozialwissenschaft entstammen der gleichen Herkunft, besitzen den gleichen Habitus und informieren sich nur über bestimmte Medien und andere nicht. Kann dadurch eine neutrale, wissenschaftliche Beobachtung möglich sein? Gibt es eine Instrumentalisierung „sozialwissenschaftlicher Befunde in politischen Debatten“? Ist die sozialwissenschaftliche Forschung parteiisch und/oder Teil eines gesellschaftlichen Konfliktes (Kulturkampfes)? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage kann es nicht geben. Um der Realität näher zu kommen, ist es möglich, Themen der Öffentlichkeit aufzugreifen, welche häufig diskutiert werden, um zu illustrieren ob dieses Problem existiert. In der Diskussion über Europa, beispielsweise werde häufig Kritik an dem liberalen/ neoliberalen Politikstil der europäische Eliten geübt, aber die Idee eines geeinten Europas an zu verwerfen, wird in der Forschung nicht diskutiert, im Gegensatz zu Teilen der Bevölkerung. Diese Einseitigkeit kann als „fehlende“ Neutralität gedeutet werden. Auch sind viele Wissenschaftler Profiteure der EU und ihrer Politik und deswegen gehemmt, deren negative Eigenschaften in angemessener Weise zu erforschen. Gleichzeitig sehen sehr viele Akademiker den Populismus als Gefahr für die Demokratie an, was immer mehr abnimmt, je niedriger der Bildungsabschluss ist. Wenn Wissenschaftler das Phänomen des Populismus, also der Spaltung der Gesellschaft, erforschen wollen, sind sie immer auch selbst Teil der Spaltung. Dies macht eine „neutrale“, also eine nicht von Werturteilen gelenkte, Sichtweise zusätzlich kompliziert. Auch gibt es politische Bereiche, in denen die Wissenschaft nur Argumente und Forschungen für eine Seite des Bereiches beisteuert. Beispielsweise existieren in der Klimaforschung keine/nur wenige Studien zu den Verlierern einer Energietransformation. So werden beispielsweise die Konsequenzen einer Einstellung des deutschen Kohlebergbaus nur wenig in der Forschung thematisiert, was den Arbeitnehmern dieser Industrie den Eindruck vermittelt, dass die Klimaforschung teil einer politischen Bewegung gegen sie ist. Allerdings kann sich die Wissenschaft nicht nur an Kulturkämpfen beteiligen (wenn dem tatsächlich so ist), sondern auch Gegenstand eines Solchen sein. Beispielsweise wurde die Genderforschung in Ungarn aus politischen Gründen eingestellt, da sie nicht die Weltanschauung der ungarischen Regierung wiederspiegelte.

Perspektiven:

Die Instrumentalisierung von wissenschaftlicher Forschung von politischen Bewegungen gefährdet die Objektivität der Wissenschaft. Die inhaltliche Asymmetrie der Studien in einigen Bereichen der Gesellschaftswissenschaft ist allerdings auch auf die Finanzierungsmodelle der Forschung zurück zu führen. So kann durch eine breitere Finanzierung verschiedene Phänomene und Sichtweisen der Empirie besser erforscht werden, als bisher. Hier besteht die Möglichkeit, bisher nur gering vertretene Gruppen und Sichtweisen stärker zu partizipieren und so dem Neutralitätsanspruch zu genügen.