Die neuen digitalen Technologien stellen unsere Städte vor neue Möglichkeiten und Herausforderungen. Die Digitalisierung ist mitunter sogar zentrale Triebkraft: In Fernost, China und Südkorea, werden „smart cities“ in großem Maßstab gleichsam aus dem Boden gestampft. Wie demgegenüber eine „Digitalstadt“ zu verstehen wäre, die überkommene Strukturen und Lebensgewohnheiten im städtischen Raum nicht einfach ersetzen, vielmehr fördern (können) soll, war eine der zentralen Fragen der Tagung, zu der das Forum für interdisziplinäre Forschung (FiF) am 18. Juli 2018 ins Lichtenberghaus eingeladen hatte.
Deutlich wurde, dass der Titel einer „Digitalstadt“, den die Stadt Darmstadt nach Gewinn des gleichnamigen Bitkom-Wettbewerbs im Jahr 2017 für sich reklamiert, mehr ist als bloße Marketingstrategie. Wie die Vorträge von Simone Schlosser und Klaus-Michael Ahrend zeigten, versteht sich das Projekt als ein Projekt „zum Nutzen der Menschen“ (Schlosser), das verschiedenste Bereiche städtischen Lebens – Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Handel, Bildung – adressiert und, so Klaus-Michael Ahrend im Blick auf die mit dem Projekt verbundenen nachhaltigen Geschäftsmodelle, dezidiert auch „Nutzen für Ökologie und Soziales“ erbringen soll. Die digitalen Technologien bieten sich – etwa in Gestalt diverser Applikationen (Sharing Apps, Recycling Apps u.v.m.) – als Lösungshilfe an, müssen indes an die Bedürfnisse der Bürger anknüpfen. Eine Zwangsbeglückung der Bürger liefe ins Leere und verfehlte den selbstgesetzten Anspruch einer möglichst weitgehenden Bürgerbeteiligung, ohne die, so der Tenor mehrerer Vorträge und der rege geführten Diskussionen zwischen Wissenschaft und im Tagungsraum präsenter Bürgerschaft, das Projekt einer „Digitalstadt“ nicht wird gelingen können.
Dies wurde nicht nur von stadtsoziologischer Seite (Sybille Frank und Georg Krajewsky), sondern auch in Beiträgen der Forscher unterstrichen, die aus den Reihen der TU Darmstadt an der Entwicklung des „Digitalstadt“-Projekts beteiligt sind. Ob es um die vernetzte, resiliente Stadt (Ralf Steinmetz), Zukunftspläne für urbane Informations- und Kommunikationstechnologien (Max Mühlhäuser) oder autonomes Fahren und Mobilität (Hermann Winner) geht – stets sind nicht nur technische Fragen und Perspektiven im Spiel, geht es um die verlässliche Stadt als Raum, in dem wir leben. Gerade wenn als Ziel formuliert wird „je digitaler, desto zuverlässiger“ (Steinmetz), müssen Kontexte der Technologien und ihrer Anwendung bedacht werden, die selbst nicht mehr nur technisch sind – ob es um Fragen der Bürgerpartizipation, politischer Steuerung oder auch, besonders relevant beim autonomen Fahren, Fragen der Verantwortung im Schadensfall, Fragen der Standards von safety und security geht.
Am Beispiel der südkoreanischen „smart city“ Songdo erörterte Jörg Stollmann die Frage, welche Raumanordnungen durch die digitalen Technologien geschaffen werden und wie diese akzeptiert werden, wie die Menschen ferner ihren Alltag organisieren. Auftretende Probleme etwa bei der Müllbeseitigung werden augenscheinlich als geringeres Übel gegenüber dem Gut gewährleisteter Sicherheit in Kauf genommen. Dass das Kontrollzentrum der „smart city“ freilich auch ein Überwachungszentrum sein könnte, scheint nicht problematisiert zu werden. Die Vorstellungen von Privatheit und Öffentlichkeit sind andere als in unseren Breitengraden, und so erscheint die Übertragbarkeit solcher in Fernost erprobten Modelle auf hiesige Projekte auch schwer vorstellbar. Man kann an solchen Beispielen eher das Problembewusstsein schärfen und lernen, dass Technik Medium sein und bleiben sollte, aber kein Selbstzweck ist. Das erstrebte Ziel ist auszuhandeln: notwendig werden neue Allianzen von Stadt, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Ariane Sept knüpfte in ihrem Vortrag zum Konzept der „slow city“ an diese Problematisierungen an. „Slow is smart“ ist nachgerade Motto des Netzwerks „Cittaslow“, an dem gegenwärtig 230 Städte in 30 Mitgliedsstaaten beteiligt sind. Das Konzept kann, so Sept, allerdings durchaus auch in einen produktiven Bezug zu demjenigen der „Digitalstadt“ gebracht werden, dann nämlich, wenn die Frage gestellt und bedacht wird, wie sich digitale Technologien nutzen lassen, ohne das Eigene, das eine jeweilige Stadt auszeichnet, zu verspielen. Schnelligkeit ist nicht unbedingt immer ein Gewinn. Angesichts immer schneller sich vollziehender Veränderungsprozesse in Beruf und Gesellschaft könnte die „Entdeckung der Langsamkeit“ resp. Entschleunigung vielmehr neue Bedeutung gewinnen und so etwas wie „Zeitwohlstand“ als „Narrativ für Nachhaltigkeit“ sich empfehlen.
Problematisierungen bot mit ergänzenden soziologischen Perspektiven auf smarten Urbanismus und Urbanität auch der abschließende Vortrag von Sybille Frank und Georg Krajewsky. Entgegen vielleicht allzu ambitionierten Versprechen der „smart city“ könnte es sinnvoll und angeraten sein, im Anschluss an einen Klassiker der Stadtforschung, Louis Wirth, u.a. Urbanität als „Lebensform“ neu bzw. wieder zu bedenken. So stellt sich ausgehend von dieser soziologischen Theorietradition die Frage, wie Urbanität durch Technik gestärkt werden kann, ohne Urbanität mit Technologie zu verwechseln oder darauf zu reduzieren. Denn eine Stadt ist zuallererst ein spezifischer Raum des Zusammenlebens von Menschen. Und Leben ist mehr als technische Problemlösung.