FiF Lecture 2017 mit Günter Figal

Entwurf mit geliehener Landschaft. Phänomenologische Überlegungen zum Möglichkeitssinn in der Architektur.

Den Auftakt der FiF Lectures machte Professor Dr. Günter Figal mit einem Vortrag am 30. November 2017, der Philosophie und Architektur ins Gespräch brachte.

Plakat zur FiF Lecture 2017
Plakat zur FiF Lecture 2017

Günter Figal war von 1989 bis 2001 Professor für Philosophie an der Universität Tübingen. 2001 folgte er einem Ruf an die Universität Freiburg (Br.). Dort war er bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2017 Inhaber des Lehrstuhls von Edmund Husserl und Martin Heidegger.

In seinem Vortrag entfaltete der Philosoph Reflexionen zur kreativen Praxis des Entwerfens am Beispiel architektonischer Werke. Insbesondere an Werken des japanischen Architekten Tadao Ando, dessen Bauwerke eine enge Verbindung von traditionellen japanischen und modernen Elementen aufweisen und sich im Gegensatz zu etwa skulptural auftrumpfenden Formen als demonstrativ zurücknehmend charakterisieren lassen, wurde der Prozess des Entwerfens als eine komplexe Suchbewegung, als ein sich im Möglichkeitsraum bewegendes Suchen thematisiert. Andos Stil ist geprägt durch die variierende Wiederholung einfacher geometrischer Formen. Die aus feinstem Sichtbeton gestalteten Schaltafeln sind nach der Größe von Tatami-Matten bemessen. Statt der Imitation von Natur ist vielmehr Harmonie zwischen geliehener Landschaft und Bauwerk angestrebt.

Die traditionelle aristotelische Konzeption des Hauses, die von der immateriellen Form in der Seele des Architekten ausgeht zur Realisierung in Materie, greift nicht weit genug, da ein Haus nie unmittelbar zur Realisierung gebracht werden kann. Was auf dem Wege geschieht, gewissermaßen zwischendurch in der Spanne von Sinn zu Sinn, ist für den Begriff des Entwerfens gerade entscheidend. Das Wissen um den Sinn eines Hauses bedingt dessen Entwurf, indem bestimmte Möglichkeiten vorgegeben sind, die aber sehr verschieden realisiert werden können. Und so zeigt sich der Sinn eines Museums erst mit dem konkreten Bauwerk, da es diesen zuvor nicht entfalten kann und nicht alles beim Gestalten bereits mitgedacht werden kann. Während das aristotelische Haus nirgendwo steht, utopisch ist, zwar Mauern und Ziegel hat, aber keinen Ort, ist jedes reale Bauwerk in einen Kontext gestellt, denn wenn man es betrachtet, tut man es immer in seiner Umgebung – in einer geliehenen Landschaft. Diese kann sich verändern, wenn Bäume wachsen oder gefällt werden, was der Architekt in Kauf nehmen muss, bleibt die Landschaft doch eine geliehene. Insofern ließe sich auch die gleichsam zirkuläre Bewegung zwischen Denken, Prüfen, Revidieren beim Entwerfen nicht als ein Erfinden verstehen, sondern als ein Nehmen dessen, was man findet. Entworfen wird dann nicht etwas Bestimmtes, sondern die Situation selbst. Das Entwerfen als ein Durchwandern von Landschaft ist eine ursprüngliche Erfahrung des Fragens und Abwägens und der Verbindung von Möglichkeiten, die in der Kommunikation mit der Landschaft zur Konkretisierung des Baues führt. Der Architekt befragt die Landschaft geradezu danach, wie ein Bauwerk auf eine bestimmte Landschaft antworten könnte. In gewisser Weise ist die Landschaft so nicht nur als eine geliehene zu begreifen, sondern auch als eine verleihende, weil sie mitbestimmend für das Bauwerk selbst ist – etwa als gebaute Verdeutlichung dessen, was da ist. Und entworfen wird so auch nicht nur das Bauwerk, sondern die Landschaft gleichermaßen. Das Spiel der Möglichkeiten im Landschaftsdialog ist aber kein unendliches, sondern führt irgendwann zur Entscheidung und somit zur Inszenierung einer bestimmten Möglichkeit, die als Manifestation von Möglichkeit in der Wirklichkeit zu begreifen ist.

Impressionen